Performance Measurement mit der Balanced Scorecard: Der Hype ist vorbei
Die Balanced Scorecard hat modernen strategischen Steuerungssystemen den Weg geebnet - jetzt wird sie abtreten
An der Balanced Scorecard, dem wohl meistdiskutierten strategischen Steuerungssys-tem, scheiden sich die Geister. Dennoch ist sie eine der stärksten "Marken" im Be-reich der Managementkonzepte. Von Siemens und DaimlerChrysler über die Lufthan-sa bis hin zu einer Controlling Abteilung der BASF oder einem Krankenhaus in Süd-schwaben haben sich fast alle größeren Unternehmen an der Kür der modernen Un-ternehmensführung versucht - mit mehr oder weniger Erfolg. Wer die Übung Ernst nahm, erhielt eine bespiellose strategische Transparenz im Unternehmen. Die Unter-nehmen jedoch, die sich um des schönen Scheins willen einem Set von Einzelkenn-zahlen verschrieben, erlitten allzu oft Schiffbruch. Welches große Unternehmen kann nicht auf eine Vielzahl von mehr oder weniger unverbundenen Einzelinitiativen in verschiedenen Bereichen Hinweisen? Wohl kaum ein strategischer Planer oder Cont-roller wird in der eignen Firma niemals Kontakt mit dem Konzept gehabt haben. Wie kam es zu diesem Erfolg?
Ein kurzer geschichtlicher Abriss: Anfang der neunziger Jahre rüttelte ein Aufsatz des Harvard Professors Robert Eccles die Fachwelt wach. Der Wissenschaftler sprach aus, was Vielen ohnehin klar war: Die klassischen, finanzorientierten Systeme des Cont-rollings allein machen aus Sicht der strategischen Steuerung keinen Sinn mehr. Sein Kollege Robert Kaplan hatte diese Denkweise wesentlich mitgeprägt, verstand es a-ber, sie weit pragmatischer zu nutzen. 1992 stellte er zusammen mit David Norton die "Balanced Scorecard" der Öffentlichkeit vor, welche seitdem ihrem beispiellosen Sie-geszug in den Unternehmenszentralen der Welt fortgesetzt hat. Vom Multinationalen Konzern über die Buchhaltungsabteilung bis zum mittelständischen Unternehmen: Jeder wollte seitdem seine Balanced Scorecard haben.
Natürlich kam diese Entwicklung nicht von ungefähr: Die Balanced Scorecard schien all die Probleme zu lösen, die dem klassischen Rechnungswesen zurecht vorgeworfen wurden: Vergangenheitsorientierung, kein Bezug zur Strategie, keine Integration in das operative Geschäft und vieles mehr. Die Lösung bestand in verschiedenartigen, auch qualitativen, Indikatoren, einer vielschichtigen Erfolgsdefinition und einer strin-genten Verknüpfung mit der Strategie. Nur leisteten dies gerade in der Frühphase des Performance Measurements auch andere Systeme, wie z.B. die "Performance Pyra-mid", welche dem Konzept der Balanced Scorecard sehr ähnlich ist und im selben Zeitraum entstanden ist. Warum aber hat sich gerade die Balanced Scoreard mit sol-cher Macht durchgesetzt?
Die Antwort ist einfach: Der Markt für Managementkonzepte funktioniert nicht an-ders als viele Konsumentenmärkte auch. Einer der Innovatoren, Kaplan und Norton, verfügte über ein überlegenes Marketing-Instrumentarium. Ein Harvard Professor, eine verbundene Unternehmensberatung und ein noch heute bestehendes Netzwerk von internationalen Partnern in Forschung, Verlagen und Beratungen. Die Balanced Scorecard etablierte sich als dominante Marke. Andere, ähnliche Originalkonzepte wie das französische "Tableau de Board" oder die erwähnte Performance Pyramid konnten sich nicht durchsetzen. Auf der anderen Seite griffen alternative Ansätze wie das Total Quality Management Anregungen der Balanced Scorecard auf und machten Sie zum integralen Bestandteil ihres Ansatzes. Auch die Me-Too Produkte fanden schnell auf den Markt: Kaum eine große Managementberatung, welche nicht mit ei-nem eignen Performance Measurement-Konzept inklusive Markenname aufwarten kann. Doch gerade durch diese Vielfalt beginnt sich die Dominanz der Balanced Sco-recard zu verflüchtigen.
Was bleibt, sind die grundlegenden Eigenschaften, welche moderne Performance Measurement Systeme in den Mittelpunkt des Interesses gestellt haben: Kennzahlen aus verschiedenen Bereichen, nicht nur der finanziellen Sphäre, und die enge Anbin-dung an die Unternehmensstrategie. Da jedoch Unternehmensstrategien so individuell sind wie Fingerabdrücke, setzen sich zunehmend maßgeschneiderte Systeme durch. Schon in den Neunzigern implementierte beispielsweise ABB Schweden ein System, welches die Balanced Scorecard um eine Perspektive erweiterte: Die der Mitarbeiter. Auch andere Firmen wie z.B. die Chase Manhattan Bank erkannten, dass sich die Ba-lanced Scorecard nur durch Wandlung erfolgreich einsetzen lässt. Erst recht setzt die-se Anpassung bei Scorecards spezieller Bereiche ein. So wendet die Europäische F&E der Firma Johnson & Johnson ein Performance Measurement System an, welches auf sechs Perspektiven basiert und mit der Original-Balanced Scorecard nur noch die ge-nannten Grundgedanken gemeinsam hat. Dennoch verhalf das Abacus getaufte Sys-tem zu der erhofften Transparenz und den angestrebten Leistungssteigerungen. Die wichtigste Folge dieser Entwicklungen ist sicher, dass sich die Enkel der Balanced Scorecard nicht mehr anmaßen, den Unternehmen ihre Erfolgsdefinition vorzuschrei-ben: Das Performance Measurement wird erwachsen.
Neuere Ansätze wie das GOPE (Goal Oriented Performance Evaluation)- Modell oder das Performance Prisma machen die Struktur des Steuerungssystems von den spezifi-schen Problemen des einzelnen Unternehmens abhängig. Ohne Berührungsängste verbinden die neue Generation des Performance Measurements auch ehemals konkur-rierende Systeme: warum bspw. soll ein modernes Kennzahlensystem nicht auf den klassischen Säulen des Qualitätsmodells der "European Foundation for Quality Ma-nagement" aufbauen? Schließlich benutzen bereits Hunderte von Unternehmen seit langem vergleichbare Total Quality Management Systeme und sind es leid, wegen einem neuen Buzzword das erreichte aufs Spiel zu setzten. Strategische Steuerungs-systeme werden zu Unikaten. Auch das Performance Prisma der Cranfield Business School stellt eher eine Sammlung verschiedener Kenngrößen aus den verschiedensten Bereichen des Unternehmens als ein starres, in sich geschlossenes System dar. Wenn sich die Unternehmen von der Balanced Scorecard - zumindest aber von dem Begriff - lösen, wird die Zukunft in solchen Systemen bestehen. Sie stellen die unausweichli-che Fortsetzung des Performance Measurement Gedankens dar.
Die Balanced Scorecard hat dieser Art des Denkens in den Steuerungszentralen der Wirtschaft den Weg geebnet. Es ist Zeit abzutreten und unternehmensspezifischen und hybriden Lösungen das Feld zu überlassen.
von Dr. Randolf Schrank, Partner der Perlitz Strategy Group, Mannheim